Wir sind jetzt 4-Tages-Agentur
Alles startete mit diesem Tweet eines t3n-Redakteurs mit Link zu einem Blogpost einer schottischen Web-Agentur. Aha!? Nur vier Tage in der Woche arbeiten? Klingt spannend, aber für ein hektisches Gebilde wie eine PR-Agentur komplett unrealistisch, kann nicht funktionieren! Oder doch?
Folgende Fragen drängten sich mir auf:
- Bewirkt eine 4-Tage-Woche eine höhere Motivation sowie längere Konzentrationseinheiten und dadurch einen Qualitäts- und Effizienzgewinn?
- Lassen sich 40 Qualitätsstunden wirklich in 4 Tagen leisten?
- Müssen wir eine einheitliche Regelung für alle Kollegen finden oder gibt es Wahlfreiheit?
- Was sagen die Kunden, wenn der gewohnte Ansprechpartner an einem „normalen“ Arbeitstag nicht erreichbar ist?
- Können wir oft zeitkritische Presse-Anfragen optimal behandeln, wenn der eigentliche Bearbeiter schon im Wochenende weilt?
Leuchtende Augen allerorten
Ich habe flugs alles schriftlich Verfügbare dazu recherchiert, mit Felicitas, der Chefin der erwähnten schottischen Agentur, gemailt und telefoniert, noch im November den Kollegen das Prinzip vorgestellt und dann – in leuchtende Augen geblickt!
Die Begeisterung war also sowohl bei den Kollegen als auch bei mir da. Jetzt mussten wir die Details auf Machbarkeit abklopfen und fanden auf jede Frage zumindest eine vorübergehende Lösung. Aus Chefperspektive war natürlich die Reaktion der Kundenansprechpartner besonders spannend und heikel und – puh! – alle haben verstanden, dass wir nicht einfach einen Tag mehr faulenzen wollen, sondern dass es uns um eine Qualitätsoptimierung geht. Zwei haben gar selbst leuchtende Augen bekommen und wollen das Konzept auf Umsetzbarkeit in ihren Firmen prüfen.
Was hat sich geändert?
Tag der Umstellung war der 1. Februar. Schon bisher konnte jeder bei uns die Arbeitszeit einigermaßen flexibel einteilen, aber wer einen Vollzeitvertrag hat, hatte – abgesehen von freizügig gewährten Home-Office-Tagen – auch 5 Tage die Woche irgendwann zwischen 7 und 20 Uhr in einem der beiden Büros zu sein.
Jetzt lautet unser Prinzip: Jeder kann seine Arbeitszeit auf 4 Tage verteilen und hat dann ein dreitägiges Wochenende oder auch einen Tag unter der Woche frei. Trotzdem bleiben beide Büros an jedem Tag von früh bis spät besetzt, alle Informationen und Materialien sind jederzeit verfügbar, alle Anrufe werden angenommen, alle Mails abgerufen und die dringenden von jemandem bearbeitet, der sich auskennt.
Zehn Wochen leben wir nun mit dem neuen System und hier die erste Auswertung:
- 10 von 14 festen Mitarbeitern machen mit. (3 können wegen Kinderbetreuung nicht, 1 mag nicht)
- 7 von den mitmachenden 10 können die 4-Tage-Woche immer oder fast immer realisieren. (Hinderungsgründe sind dringende Presseanfragen oder dringende Kundenbelange)
- Bei 8 von 10 teilnehmenden Kollegen ist bisher noch nichts Akutes am freien Tag vorgefallen, das anwesende Kollegen dringend übernehmen mussten.
- 9 der teilnehmenden 10 nehmen freitags frei, 1 am Montag.
- 3 freie Tage am Stück sind für 8 von 10 wertvoll oder sehr wertvoll
- 9 von 10 fühlen sich am 1. Tag des Rhythmus motivierter als zu Beginn der 5-Tages-Woche
- 7 von 10 Mitarbeitern ist die 4-Tage-Woche wichtig oder sehr wichtig
- 10 von 10 teilnehmenden Mitarbeitern sind glücklich oder sehr zufrieden mit der 4-Tage-Woche
Gerade der letzte Punkt ist deutliches Zeichen, dass sich eine 4-Tage-Woche auch dauerhaft auf die Qualität unseres Teams auswirken sollte, denn sie ist ein starkes Argument, erstklassige Kollegen zu finden bzw. die aktuellen zu halten.
Freunde, Joggen, Sauna, Amnesty
Wie genau die Kollegen den gewonnen Tag verbringen, haben wir nicht im Detail erfasst, das soll Privatangelegenheit bleiben. Von Sebastian weiß ich, dass er wieder zum Joggen an der Elbe kommt und die Strecke dann auch herrlich leer ist. Eine Kollegin findet wieder Zeit für ihr Engagement bei Amnesty International, eine andere besucht Freunde in Süddeutschland und ich selbst schaffe es freitagmittags oft in die Sauna und blockiere die Leseliegen. Wir leben also vielleicht nicht nur glücklicher sondern auch ein bisschen gesünder und sozialer.
Wer Fragen zu unserem Konzept hat, kann sich sehr gern an mich wenden. Ich würde mich über jeden Austausch sehr freuen!
Ansonsten werden wir spätestens nach einem Jahr wieder unsere Erfahrungen auswerten und an dieser Stelle verbreiten.
5 Kommentare
Fritz
Hallo in die Runde,
herzlichen Glückwunsch für die Entscheidung zur 4-Tage-Woche.
Den von Euch eingeschlagenen Weg, die Beteiligung an diesem Modell auf freiwilliger Basis zu organisieren, findet meinen Beifall. Nur so geht es!
1973 – 75 habe ich in Berlin in einem US-Unternehmen gearbeitet, dass dieses Modell in den USA praktizierte, leider nicht in Berlin.
Alles Gute bei der Umsetzung und Weiterentwicklung!
Herzlichst,
Fritz
jan
Es steht jedem frei, die frühere Stundenzahl in 4 Tagen zu leisten oder die Stunden zu reduzieren – Letzteres allerdings gegen entsprechende Reduzierung beim Gehalt.
Bei uns hat sich jeder für die Beibehaltung der Stundenzahl entschieden und das funktioniert bisher gut.
Florian
Werden bei euch die 40 Stunden auf 4 Tage aufgeteilt, oder wird einfach um den Freitag gekürzt? Denn 40 Stunden auf 4 Tage fände ich dann viel mühsamer, als der zusätzliche Freitag.
Stefan Kunze
Eine wirklich mutige, höchst interessante Entscheidung. So ein freier Tag kann meiner Ansicht nach ganz ungeahntes Potential in Mitarbeitern freisetzen. Zum Beispiel gelingt es ihnen dann vielleicht, das Gefühl, in einer Tretmühle zu sein, immer wieder zu überwinden.
Wenn man sich den Freitag allerdings komplett mit anderen „Freizeit“-Terminen vollknallt, hat auch niemand was gewonnen. Der Sinn der Sache dürfte wohl im „slowing down“ liegen. Beneidenswerte Leute, die einen Frei-Tag genießen dürfen. Würde mich echt motivieren für meine Firma!