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Über Vereinbarkeit, die Hydra im Leben


Auf dem Blog der Frischen Fische schreiben wir nicht nur über Themen rund um PR und Brandbuilding. Auch was uns privat beschäftigt, darf hier eine Rolle spielen.

Denn das Privatleben mag zwar privat sein, ist aber untrennbar mit dem Arbeitsalltag verbunden. Nicht nur ist die Privatperson kaum von der Persona im Arbeitsalltag zu trennen, schließlich entsteht Kollegenzusammenhalt und Empathie nur über das Kennen der individuellen Lebenssituationen, auch den Herausforderungen des Alltags zu begegnen, klappt nur, wenn der Arbeitgeber die richtigen Weichen stellt (Disclaimer: Mein Arbeitgeber ist männlich, deswegen nutze ich hier auch das generische Maskulinum).

Kommen, wie in meinem Alltag, noch kleine Menschen hinzu, ist es quasi unmöglich, die beiden Lebenswelten separat zu bearbeiten. Beschäftigt man sich mit den Schlagwörtern Familienalltag, Berufsleben und Mental Load kommt ganz schnell ein Wort auf die Agenda: Vereinbarkeit. Ein einfaches Wort mit doch großer Tragweite. Frage ich die GPT-Engine, wird mir folgende Definition vorgeschlagen:

Das Wort Vereinbarkeit beschreibt die Möglichkeit, unterschiedliche Anforderungen, Interessen oder Lebensbereiche miteinander in Einklang zu bringen, sodass sie sich nicht gegenseitig ausschließen oder behindern. Es wird häufig in Kontexten verwendet, in denen es um die Balance zwischen verschiedenen Lebensbereichen geht.

Klingt nachvollziehbar, aber was bedeutet das ganz konkret im Alltag? Ich habe in den letzten Wochen ein paar Zahlen und Fakten gesammelt, die die Lebensrealität hinter dem einfachen Wort Vereinbarkeit greifbar machen.

 

Eine unvollständige Datenerhebung aus dem Alltag einer Familie

 

Anzahl der freien Mietwohnungen in Berlin für eine vierköpfige Familie im Umkreis von 10 km vom derzeitigen Wohnort (min. 80 qm): 70

Anzahl der Wohnungen mit einer Kaltmiete <1.500 €: 1

Gestiegene Preise von Lebensmitteln in 2024 in Prozent: 3,1 

Anzahl der gemeinsamen Wochenarbeitsstunden: 72

Wöchentliche (normale) Betreuungszeit in der Kita in Stunden: 30

Anzahl der Werktage mit kurzfristigen Betreuungsengpässen (wegen Personalmangel) in der Kita in den letzten 4 Wochen: 14

Tage mit krankem Kind/Arzttermin in den letzten 4 Wochen:

Fahrzeiten zur Arbeit pro Woche in Stunden: 6

Stundensatz für Babysitter: 15-20 € (mit steigender Kinderzahl)

Eine Stunde Kindertanz pro Woche: 17 €

Anzahl der Kinderärzte, die im Bezirk noch Kinder aufnehmen: 0

Tage mit Schienenersatzverkehr des ÖPNV in den letzten 4 Wochen: 10

Anzahl der Wochen mit Baustellen und angespannter Verkehrslage im Straßenverkehr in den letzten 4 Wochen: 4

 

Der Tag hat 24 Stunden – wenns knapp wird, kommt noch die Nacht dazu

Schaue ich mir diese kleine private Erhebung an, wird schnell deutlich: Familien müssen heute das Unmögliche möglich machen. So wie Herakles gegen die Hydra mit ihren neun Köpfen und den stets nachwachsenden kämpft, jonglieren auch Familien die immer neuen Herausforderungen des Alltags. Ein Einkommen (egal, wer es erwirtschaftet) reicht schon lange nicht mehr aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Betreuungszeiten in der Kita sind ein rares Gut und kranken schnell an einem verkorksten System aus Fachkräftemangel und schlechten Arbeitsbedingungen. Andere Formen der Betreuung sind schwer zu organisieren und im Zweifel teuer – auch das vielzitierte Dorf bedarf Zeit an Aufbau und Pflege. Gerade in den Wintermonaten lauern Krankheiten hinter jeder Ecke und sabotieren jeden noch so gut gestrickten Ablaufplan. Kosten für Teilhabe wie Sport und Kultur schießen immer mehr in die Höhe – und es gibt noch unzählige weitere Beispiele. Alles in allem ist klar, ohne Erwerbsarbeit beider Elternteile ist ein Familienalltag finanziell kaum zu stemmen.

Die symbolische Illustration einer mythischen Hydra mit mehreren Köpfen, die jeweils verschiedene Aspekte des Arbeits- und Familienlebens darstellen

Wie aber das Unmögliche nun vereinbaren?

Nun, bin ich kein Fan davon, nur das Schlechte zu sehen, letztlich argumentiere ich aus einer absolut privilegierten Position heraus. Das System braucht aber dennoch eine dringende Generalüberholung, sonst droht die Geburtenrate weiter zu sinken. Die Entscheidung für eine Familie darf nicht zu Lasten von Einkommen oder Gesundheit gehen oder schlicht eine Frage des Geldes sein. Aber die Ressourcen, äußere Umstände wie Fachkräfte- und Ärztemangel oder Wohnungsnot nachhaltig zu verändern, haben Familien schlicht nicht. Hier bleibt zu hoffen, dass die eigene Wahlentscheidung politisch die richtigen Weichen stellt. Welche Entscheidung aber in den eigenen Händen liegt, ist die Wahl des Arbeitgebers.

 

Meine Arbeitskraft, meine Entscheidung

Die eigene Arbeitskraft ist ein hohes Gut und sollte nur mit Unternehmen gehandelt werden, die auch das Leben dahinter sehen. Familien brauchen Arbeitgeber, die den Lebensalltag ihrer Mitarbeitenden verstehen und Strukturen schaffen, um diesen überhaupt lebbar zu machen. Vereinbarkeit bedeutet für mich: Ich kann arbeiten, wann und wie ich das möchte. Natürlich in einem vordefinierten Rahmen, aber darin kann ich mich frei bewegen. Um 7.00 Uhr direkt aus dem Homeoffice starten, spontan eine lange Pause einlegen, weil die Kita wegen erhöhter Temperatur anruft, nach dem Abendbrot noch die letzten To do’s vom Tisch räumen – all das muss möglich sein.

 

Lieber Balance als Balanceakt

Die Arbeitgeber der Zukunft schaffen Räume für die Lebensumstände ihrer Mitarbeitenden. Nur wer nicht ständig das Gefühl hat, Privat- und Arbeitsleben gegeneinander auszuspielen, und nicht überall das schlechte Gewissen mit hinträgt, kann die eigene Arbeitskraft maximal entfalten und das volle Potenzial heben. In einer Welt, die sich immer schneller dreht und mehr und mehr Informationen und Konflikte ausspuckt, kann nur bestehen, wer sich um seine eigene Gesundheit – psychisch wie physisch – bemüht. Ein Lebensalltag im Zeichen der Vereinbarkeit ist dafür der perfekte Nährboden. In diesem Sinne: danke, Fische.



Über Sina Szpitalny

Sina studierte Medienwissenschaften, Kultur und Sprachen, denn mit Menschen in Interaktion treten, wollte sie schon immer. Nach Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit für kulturelle Projekte, der Filmbranche und der politischen Kommunikation zog es sie in die Tech-PR. Bei den Fischen kommuniziert sie innovative Ideen und schwimmt im richtigen Element.


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