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Kreativität auf Knopfdruck? Sorry, Knopf kaputt

, 10.07.2012,

Bringen Sie diese Dinge in die Reihenfolge, wie „Hans im Glück“ sie in seinen Besitz bekommt! A: Gans, B: Schleifstein, C: Goldklumpen, D: Kuh.

Jede „Wer wird Millionär“-Folge beginnt mit einer Frage dieses Kalibers. Für die Kandidaten und über zwei Millionen Zuschauer beginnt der abendliche Gehirnsport. Manch einer verkündet seinem Fernseher lautstark die vermeintliche Lösung. Andere proben auf der Couch den Ernstfall, drücken die Stoppuhr und tippen die Buchstabenfolge in irgendetwas, was gerade auf dem Schoß liegt. Kissen oder Katze, egal. Flinke Finger müssen für den Fall der Fälle trainiert werden. Der eigentliche Spaß beginnt aber erst nach Sendeschluss.

Da sitzt man dann selbst bei Herrn Jauch auf dem Stuhl. Vorhang auf fürs eigene Kopfkino. Frech, elegant, witzig und spritzig bringt man als DIE Super-Kandidatin einen coolen Kommentar nach dem anderen und begeistert Herrn Jauch so sehr, dass man spätestens ab der 125.000 Euro-Frage beim Du angelangt ist. Und natürlich gewinnt man die Million oder noch besser: man nimmt die 500.000 und lässt sich die Millionenfrage noch nicht einmal mehr zeigen. Tja, Günther, da würdest du Augen machen.

Sendungen wie „Wer wird Millionär“ sind aus einem Grund so erfolgreich: Sie regen unsere Phantasie an. Wie würde ich reagieren? Hätte ich das gewusst? Wie würde mein persönliches Wer-wird-Millionär-Szenario aussehen? Jeder erzählt sich selbst halt immer noch die besten Geschichten. Wir wissen genau, was uns bewegt, was uns packt, welche Storyline unsere Synapsen so kickt, dass die Hormone anfangen zu tanzen. Und genau solche Stories wollen wir auch selbst lesen, als Reportage, als Roman.  Sobald uns ein packendes Szenario vor die Nase gesetzt wird, beißen wir an und spinnen weiter.

Gefangen im Labyrinth der Gedanken

Jeder von uns verfügt über die Fähigkeit, Geschichten weiterzuspinnen. Sich als Protagonist, als Held oder Bösewicht der Geschichte zu sehen. Sobald wir aber selbst, quasi aus dem Nichts, Geschichten stricken sollen, schaltet unser Gehirn auf blanko.

Wenn uns nicht sofort etwas einfällt, geraten wir in Panik, klammern uns dann umso mehr an bekannten Strukturen, wollen unbedingt ein Konzept entwickeln und drehen uns doch nur im Kreis. Warum können wir nicht ausbrechen, alles von uns werfen und neu anfangen? Gabriele L. Rico, Autorin des Buches „Garantiert Schreiben Lernen, erklärt sich das so: „Wir haben verlernt, zu staunen und offen zu sein für das, was kommen könnte. Staunen bedeutet zu akzeptieren, dass sich vieles unserem bewussten Wissen entzieht. Es ist der natürliche Zustand zu Beginn jedes kreativen Aktes.“

Kreativtechniken wie das unter anderem von Rico entwickelte „Clustering“ können entscheidende Impulse liefern, um den Teufelskreis zu durchbrechen und einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen. Clustering lässt sich am besten als ein nichtlineares Brainstorming-Verfahren beschreiben, das mit der freien Assoziation arbeitet. Während des „Clusterns“ kommt das Zusammenspiel von rechter und linker Gehirnhälfte richtig in Fahrt. Und auf einmal sprudelt es, aber so richtig.

Ich geh mir mal kurz eine clustern

Zu Beginn sollte man sich einen maximalen Zeitrahmen setzen. Für den Anfang reichen zehn Minuten, wer früher fertig ist, auch kein Problem. Rechner, Smartphone und nervige Kollegen gehören weggesperrt: Die einzigen Weggefährten für die nächsten zehn Minuten: Stift und Papier.

Je nach Aufgabe oder Thema, zu dem man clustern will, wird ein zentraler Begriff, den man spontan damit assoziiert, aufgeschrieben. Dies kann, wie ich es für diesen Artikel über das Clustering gemacht habe, das Wort „Assoziationen“ sein. Aber im Nachhinein betrachtet hätte es genauso gut „Kreativität“, „Unsicherheit“, oder „Textangst“ sein können. Dann wird alles aufgeschrieben, was einem zu dem Begriff einfällt. Ähnlich wie beim Mindmapping kreisen die Assoziationen um den zentralen Begriff. Das Clustering ist aber sozusagen der Hippie und den Mindmappern. Es müssen keine logischen Verbindungen gezogen werden, nichts muss geordnet werden. So wie die Assoziationen kommen, so stehen sie auch auf dem Blatt.

Meine Gehirnhälften spielen Ping Pong

Während wir wild und hemmungslos assoziieren, spielen die linke und die rechte Hemisphäre unseres Gehirns Ping Pong. Links haut Rechts die logische, nüchterne Sprache um die Ohren, rechts kontert elegant mit Metaphern, Wortbildern und rhythmischem Sprachgefühl. Während wir dieses Spiel durchs Clustern immer mehr anheizen, wird unsere Arbeitsweise des bildlichen Denkens sichtbar. Wir entwickeln eine Story, manchmal sogar mehrere. Da sind plötzlich Ideen und Ansätze, wie man den Artikel, die Pressemitteilung, die Reportage thematisch anpacken könnte.

Auf ein Date mit der geilen Nachbarin

Jeder kann clustern. Falsch, nicht jeder. Wer keinen Mut hat, sich auf seine Assoziationen einzulassen, oder wer jedes Ergebnis auf dem Papier sofort bewertet, für den wird Clustern zum gordischen Gehirnknoten. Nehmen wir als Beispiel eine Pressemitteilung zum Thema Online-Dating. Da können beim Clustern durchaus auch Begriffe wie „Swingerclub“, „Sado-Maso“ oder „meine geile Nachbarin“ assoziiert werden. Wer dann in Panik verfällt und nur noch denkt, dass er so doch keine Pressemitteilung beginnen kann und der Kunde ihm das nie und nimmer abnimmt, der spielt sozusagen als Amateur gegen einen Profi-Ping-Pong-Spieler. Und wird verlieren. Wichtig ist: Nicht jeder Strang im Cluster wird zu einer Story und selbst wenn die „geile Nachbarin“ die Story wird, ist man Profi genug, eben diese Story nicht in einer Pressemitteilung zu bringen – außer natürlich das Produkt passt .

Ich springe, spring über meinen Schatten…

Was aber, wenn kein verwertbarer Storyansatz bei rumkommt? Ganz ehrlich, wie viele 10 Minuten Pausen verbringt man mit Nonsense am Tag?  Im schlimmsten Fall haben wir weitere 10 Minuten unser Gehirn durchgespült und Storylines entwickelt, die uns bewegt, angeregt und vielleicht sogar amüsiert haben. Wer stattet denn nicht mal gerne zwischen zwei Telkos Herrn Jauch einen Besuch ab und freut sich über die gewonnene Million? Beim Clustern geht es vor allem darum, die Kontrolle abzugeben, über seinen eigenen Schatten zu springen, loszulassen und sich komplett auf seine Assoziationskraft zu verlassen. Irgendetwas kommt immer dabei raus. Ob man es dann auch beruflich verwerten kann, steht dann auf einem anderen Blatt Papier, das aber ohne Clustern vielleicht leer geblieben wäre.

 

P.S. Wer weitere Kreativtechniken lernen möchte, dem sei wärmstens ein Kurs von Dr. Sebastian Polivoda an der Bayrischen Presseakademie empfohlen. Ich selbst habe dort zum ersten Mal geclustert. Vorsicht: Suchtgefahr!!

P.S.S Weiterführende Literatur: Gabriele L. Rico, „Garantiert Schreiben Lernen“.



Über Alumni Fisch

Artikel unserer ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Danke für die tolle Zeit mit Euch!


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