Inokulationsstrategie: Was ist das und warum sie für Instagram möglicherweise die richtige Wahl gewesen wäre
Inokulation ist ein so schönes Wort nicht. Es kommt aus der Mikrobiologie und bedeutet laut Wikipedia „das Animpfen einer Zellkultur oder einer Kultur mikrobieller Stämme“. Doch was hat das mit Kommunikation zu tun? Noch mal Wikipedia: „Eine Inokulationsstrategie steht im Marketing für das Konzept, die Zielgruppe durch aktive Kommunikation (im Sinne einer Impfung) gegen Kontra-Argumente zu immunisieren.“ Klingt noch viel weniger schön.
Doch genauer betrachtet hat das Konzept seinen Reiz. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass die Mehrzahl der Geschäftsmodelle und Produkte (neben dem offensichtlichen Ziel, Geld zu verdienen) mit „guten“ Absichten auf den Markt gebracht werden: ein Problem lösen, etwas besser, schneller, anders machen, Technologien für neue Nutzergruppen erschließen… Oftmals dreht sich die Kommunikation – vor allem im Marketing – dann natürlich um die positiven Seiten, den Mehrwert, den Nutzen. Das ist auch selbstverständlich so. Doch beinah jedes Business Modell, fast jedes Produkt, jede Dienstleistung hat eine „tricky“ Seite, einen Aspekt, den man eigentlich lieber nicht zur Sprache bringt, einen Haken, einen Kritikpunkt, der manchmal gar nicht aus der eigentlichen Zielgruppe, sondern aus ganz anderen gesellschaftlichen Gruppen kommen kann. Viele Unternehmen kennen ihre Schwachstellen, bereiten sich bestenfalls kommunikativ darauf vor, haben Informationen und Argumente in der Hinterhand. Wenn dann die Kritik am brodeln ist, aus latenten Issues akute werden, wählen sie entweder die Auseinandersetzung / den Dialog oder sie setzen auf Entkräftigung, Kleinreden, Aussitzen. Das kommt ganz auf die Art des Problems, das Unternehmen selbst und natürlich auf die Kommunikationskultur an.
Bei der Inokulationsstrategie geht man in der Kommunikation einen anderen Weg und obwohl mir die obige Definition zuwider ist, finde ich den dahinter liegenden Ansatz spannend. Es heißt nämlich, sich Kritikpunkte bewusst zu machen und aktiv in der Kommunikation anzugehen. Sprich Argumente zu liefern, bevor die Entrüstung losbricht. Einige Branchen sind zurecht besonders anfällig für Kritik. Und in diesen Bereichen gibt es dann auch Beispiele für Unternehmen, die die Inokulationsstrategie zum wesentlichen Bestandteil ihres Kommunikationsgebahrens gemacht haben. Schaut man sich die Website von Philip Morris an, findet man Warnungen vor den gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens („Über 5.000 verschiedene Chemikalien – oder Rauchbestandteile – entstehen bei der Verbrennung von Tabak. Etwa 100 dieser Rauchbestandteile wurden von Gesundheitsbehörden als Ursachen oder mögliche Ursachen für Krankheiten identifiziert, die mit Rauchen in Zusammenhang stehen.“), Infos zu illegalem Tabakhandel oder Tierversuchen. Klar, ein Tabakkonzern hat heutzutage auch kaum eine andere Wahl, möchte man meinen. Das führt zu der absurden Situation, das auf der eigenen Website vor dem eigenen Produkt gewarnt wird und Tipps zur Entwöhnung gegeben werden. Ganz so weit muss man es mit der Inokulation gewöhnlicherweise als Unternehmen nicht treiben.
Wann ist das Vorgehen also ansonsten sinnvoll? Dann, wenn die Kritik vorhersehbar und berechtigt ist, es aber eben auch berechtigte Argumente gibt, am eigenen Handeln festzuhalten. Sicherlich ist der Diskurs mit den Gegnern dann trotzdem hart und manchmal vielleicht auch unschön. Doch man vermeidet den Eindruck der Kritikblindheit, öffentliches Zurückrudern und Gemecker über Kommunikationsverhalten und falsche Attitüde. Dabei geht es für mich nicht darum, jemanden „gegen Kontra-Argumente zu immunisieren“, sondern um Transparenz im Bezug auf Beweggründe. Darum ein Zeichen zu setzen: „Wir haben keine Scheuklappen auf, aber auch wir haben unsere Gründe.“
Und damit kommen wir zu Instagram und der Frage, ob Headlines wie „Nach heftigen Protesten der User: Instagram macht Rückzieher bei neuen Nutzungsregeln“ und die damit suggerierte Passivität vermeidbar sind? Wenn die Einführung der neuen Nutzungsrichtlinien gleich mit einer Kommunikationsstrategie begleitet worden wären, die Kritikpunkte aktiv aufgreift und Argumente liefert (so wie im Beitrag von Kevin Systrom im Instagram-Blog am darauf folgenden Tag geschehen), vielleicht schon. Doch das ist reine Hypothese.
2 Kommentare
Wolf
Klasse Artikel, gut fundiert! Philipp Morris ist ein krasses Beispiel. Instagram hat wohl eine gute Gelegenheit verpasst.