Home, sweet @home
Von Iris Karge
DMEXCO: Das Familientreffen der digitalen Marketingszene fand 2020 rein digital statt – es war wie immer und dann doch auch nicht.
Die Macher des Branchenevents des Jahres hatten sich nach langem Ringen in den letzten Monaten aufgrund der weltweiten Pandemie und den lokalen Auflagen für eine rein digitale Variante entschieden – die DMEXCO@home.
Ob sie wirtschaftlich ein Erfolg war, davon können nur die Organisatoren berichten; der vielerorts befürchtete komplette Reinfall war sie jedenfalls nicht.
Mehr Vielfalt und Internationalität
Das diesjährige Motto „Attitude Matters” ließ ausreichend Spielraum für eine Fülle an unterschiedlichen Themen. Und die gab es – mehr auf jeden Fall als in den letzten Jahren. Bei der Durchsicht des Programms fiel gleich auf, dass die Themenvielfalt breiter angelegt war.
Natürlich zog sich Corona und das Leben damit durch das Programm und gab dabei vielen Perspektiven Raum. Sowohl die Gewinner der Krise aus den verschiedenen E-Commerce-Bereichen, als auch die Verlierer wie die Tourismusbranche zum Beispiel kamen zu Wort.
Trendthemen wie TikTok, Influencer Marketing, aber auch die etwas nerdigeren wie die zum Cookieless-Tracking spiegelten die Bandbreite des aktuellen Stands des Onlinemarketings gut wider.
Auch die Speaker-Besetzung konnte sich sehen lassen. Besonders an Internationalität hat das Event durch den Online-Charakter gewonnen. Spannenden Persönlichkeiten wie zum Beispiel der inspirierenden Aufsteigerin Tatjana Biallas, Managing Director bei Unify, oder dem bekannten CEO von Taboola, Adam Singolda, konnten die Zuhörer zu Hause gespannt lauschen.
Technische Umsetzung mit kleineren Hindernissen
Die Veranstalter standen vor der Herausforderung, in kurzer Zeit ein Branchengroßereignis rein digital abzubilden. Und eines muss gesagt werden: Es ist ihnen gelungen, namhafte Speaker und Marken als Line-Up zu gewinnen und eine Plattform auf die Beine zu stellen, die den Austausch und das Verfolgen der Veranstaltung ermöglichte.
Nörgler werden aber selbstverständlich auch hier fündig. Technisch gab es immer mal wieder Probleme. Von hängenden Streams, eingefrorenen Bildern und Verzögerungen im Ablauf war alles mit dabei. Im Prinzip also genau so wie auch bei einer Offline-Messe.
Die Formate reichten von Live-Interviews über Panel Discussions bis hin zu vorher aufgezeichneten Reden. Auch hier gilt das Gleiche wie bei Offline-Auftritten: Die Qualität steht und fällt mit den Speakern. Manch aufgenommenes Video, bei dem nur abgelesen wurde, war eine Zumutung für die Zuhörer, auch wenn sie dies vom heimischen Sofa aus ertragen konnten.
Mancher Host hat die Bedeutung des Chats nebenher gut verstanden, die Zuhörer direkt involviert und Fragen aufgenommen. Das ist es, was so ein Format gegenüber den klassischen Offline-Auftritten natürlich noch spannender macht – die Einbindung von Anmerkungen in Echtzeit. Zuhörern fällt es offensichtlich aus der „Anonymität” eines Chatfensters heraus leichter, Fragen zu stellen und sich so in die Diskussion und das Thema einzubringen. Vielleicht eine Idee für zukünftige Offline-Formate, das zu übernehmen, und sei es nur um die peinliche Stille am Ende eines Vortrags schneller in eine Diskussion zu überführen.
Inhaltliche Kratzer an der Oberfläche
Wie so oft versprechen die Titel der einzelnen Sessions viel, inhaltlich halten diese allerdings häufig leider weniger. So kratzen die meisten Sessions oft nur an der Oberfläche der Themen, lassen den Tiefgang aber vermissen. Gerade für mich als als PR-Beraterin ist es wichtig, die Trends der Branche, in der sich die Kunden bewegen, im Auge zu behalten. Nicht nur, um die Themenstränge richtig aufzugreifen, sondern auch, um mit Kunden einen Dialog auf derselben Ebene führen zu können. Für den Wissensaustausch sind solche Messen unerlässlich. Doch wenn Sessions am Ende zu reinen Werbeveranstaltungen verkümmern, ist das nicht zielführend. Denn leider kommt es immer wieder vor, dass spannende Vortragsthemen in eine Verkaufsshow münden. Aber auch das ist ein Problem von so ziemlich jeder Messe oder Konferenz.
Hier gab es jetzt allerdings bei einigen Formaten noch die Möglichkeit, im Nachhinein in einzelnen virtuellen „Räumen” tiefgreifendere Fragen zu stellen und von den Experten die erhofften Antworten zu erhalten. Auch das ist ein wünschenswerter Nebeneffekt des digitalen Formats, gibt es doch in der realen Welt dafür häufig zu wenig Zeit.
Nach Corona alles noch digitaler und anonymer
Größte Herausforderung bzw. größter Trend ist die Digitalisierung aller Branchen und Bereiche. Das mag ein Learning sein, das wenig überrascht. Doch im Subtext ging es gefühlt immer darum, dass durch Corona die Leute zu Hause sitzen und digital wesentlich empfänglicher sind, sich dadurch ihr Nutzungs- und Kaufverhalten gewandelt hat und die Medien das nun abbilden müssen.
Stefan Messerknecht, Managing Partner der hmmh multimediahaus AG, sagte in der Panel Discussion zum Leben nach Corona über größere Retail Brands, die die Digitalisierung bis jetzt verschlafen haben: „If they do not move now, they probably won’t move anymore.”
Als vermeintlicher Verlierer der Krise gab Erik Friemuth, Chief Marketing Officer der TUI AG, an, dass Vertrauen die Währung in der Krise sei. Für ihn sind die langfristigen Folgen für die Reisebranche noch nicht absehbar, aber auch er sieht die Digitalisierung in vielen Bereichen als Schlüssel.
Unabhängig von Corona, aber auch heiß diskutiertes Thema der diesjährigen DMEXCO war der Verlust von Cookies. Eine Welt nach dem Cookie scheint nicht mehr undenkbar, ist aber immer noch eine Herausforderung. Für Timucin Guezey, Managing Director bei Mindshare, steht hier ganz klar auch eine Veränderung bei den Aufgaben von Agenturen an. Er sieht den steigenden Bedarf seitens der Brands hinsichtlich einer Führung durch den technologischen Dschungel der digitalen Werbewelt. Denn dieser ist in den letzten Jahren zum Beispiel durch neue datenschutzkonforme Tracking-Methoden und Targeting-Möglichkeiten noch undurchsichtiger und vielschichtiger geworden.
Ein abschließendes Urteil, wie anonym das Internet denn jetzt wirklich wird, kam nicht zustande. Aber irgendwie arbeiten alle an Lösungen und wollen damit dann auch irgendwann an die Öffentlichkeit treten.
Fazit: Eigentlich wie immer und doch so anders und vor allem grüner
Am Ende war es so wie jedes Jahr – eine Art Klassentreffen. Bekannte Kontakte und Medien waren vertreten und hatten ihren Auftritt. Einige Player, die sonst immer mitmischten, suchte man dieses Jahr allerdings vergebens in der Liste der Unternehmen. Das Vertrauen der Digitalbranche in ein rein digitales Event hat also noch Luft nach oben.
Trotzdem hat die DMEXCO insgesamt eine gute Figur gemacht.
Alles in allem gab es für mich allerdings keine revolutionären Neuigkeiten. Hier und da konnte man einen Einblick darin gewinnen, wie Corona die Werbewelt auf den Kopf gestellt hat – aber auch das waren keine wirklich neuen Erkenntnisse.
Der wohl größte Gewinner der diesjährigen DMEXCO war die Umwelt. Eine ausführliche Bilanz, wie viel CO2 durch ausbleibende Dienstreisen eingespart, wie viel Müll durch schnell weggeworfene Flyer und Broschüren eingespart werden konnte und wie viele unnütze Gadgets dieses Jahr nicht verteilt wurden, wäre die wohl spannendste Analyse dieser digitalen Messe.
Über die Verfasserin dieses Beitrages
Als studierte Geographin gestartet, hat Iris sich dann doch mehr in die Richtung der Unternehmenskommunikation weiterentwickelt. Sie hat Berliner Startup-Luft geschnuppert und ihr Interesse für B2B Tech-Themen entdeckt. Iris lebt und liebt das Leben kunterbunt und ist im Wasser in ihrem Element.