Auf der Suche nach High Agency: Nischen-Targeting als HR-Instrument?
In meinem letzten Blogpost ging es darum, wie wenig die Kopfnoten auf sächsischen Schulzeugnissen allgemein aussagen. Und vor allem darum, wie weit sie davon entfernt sind, die gegenwärtig und zukünftig am dringendsten benötigten Kompetenzen in den Mittelpunkt zu stellen.
Bei der Recherche rund um das Thema bin ich auch auf den Terminus „High Agency” gestoßen, der hierzulande noch sehr selten verwendet wird. Er fasst Dinge zusammen, die hier eher entweder stark vereinfacht als „Out-of-the-Box-Denken” oder stark verkopft als „orthogonale Kompetenz” bezeichnet werden.
High Agency bezieht sich dabei auf Personen oder Gruppen, die eine hohe Selbstwirksamkeit besitzen, also die starke innere Überzeugung, schwierige Situationen gut aus eigener Kraft meistern zu können. Definitiv Menschen, die man in Krisenzeiten gern im Team hat. Falsch: Die man zwingend in seinem Team braucht.
Menschen, die Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen. Für sich, für das Team, für das Unternehmen. Sie haben ein ausgeprägtes Selbstvertrauen, sind resilient und können mit Herausforderungen und Rückschlägen gut umgehen. Kurz: High Agency beschreibt ein sehr hohes Maß an transformativen Kompetenzen.
Auf Twitter fand ich dann diesen Thread des Cloud-Experten George Mack dazu, wie man solche High-Agency-Menschen identifiziert. Und ich behaupte jetzt mal, dass diese Aspekte noch nicht in jeder HR-Abteilung angekommen sind.
Migrationserfahrung und exotische Jugend-Hobbys
Macks erste These: Migrationserfahrung macht stark. Wer seine Heimatstadt oder gar sein Heimatland verlassen hat, entwickelt in vielen Fällen ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit. Das ist jetzt noch keine große Überraschung. Wie stark längere Auslandsaufenthalte einen Menschen prägen können, das haben wir wahrscheinlich alle schon im Umfeld erlebt und gehört bestimmt zum Recruiting-Einmaleins. Mack betont dabei übrigens, dass der Mut dieser Menschen sich bereits in dem Moment zeigt, in dem sie anerkennen, dass Zuhause irgendwie der falsche Ort ist. Ich mag diese Definition.
Macks zweite These: Seltene Hobbys als Teenager machen resilient. Viele High-Agency-Menschen haben in ihrer Jugend nicht Fußball gespielt, sondern sind eher außergewöhnlichen Hobbys nachgegangen. Je seltener, desto besser. Es leuchtet durchaus ein: Im Teenageralter ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man sich sozialem Druck beugt. Wenn man sich trotzdem gegen die Masse stellen kann, schafft man es als Erwachsener erst recht. Dementsprechend kann man diese Menschen später durchaus an ihrem Kleidungsstil oder ihrer Frisur erkennen, denn sie geben keinen Cent auf Trends. Sie tragen, was sie mögen, was gleichzeitig Macks dritte These ist.
Jetzt geht es logischerweise nicht darum loszurennen, um nach jungen Männern zu suchen, die als 14-Jährige mit der Familie von Rotterdam nach Hoyerswerda gezogen sind und sich dort der Aufzucht von Gottesanbeterinnen gewidmet haben. Oder nach jungen Frauen, die als Teenagerinnen Jazz-Klarinette spielten. Es geht darum, verstärkt zu schauen, wer vielleicht auf den ersten Blick nicht sofort in ein Teamgefüge passt, aber genau dieses Team aus der Sch***e retten kann, wenn es brennt.
Ungenutzte Potenziale im Nischen-Sponsoring
Und es geht darum, gezielter an diese Zielgruppe zu denken, wenn es um das Personalmarketing geht. Wie adressiere ich High-Agency-Menschen durch starkes Storytelling statt durch Plattitüden und Klischees? Wo werbe ich? Betreibe ich Sponsoring beim Fußballverein oder suche ich Nischensportarten? Ein ehemaliger Kunde unserer Agentur war stark engagiert als Sponsor von Wettbewerben des komplexen Brettsspiels „Go”, also dort, wo überdurchschnittlich viele Hochbegabte zusammenfinden.
Allgemein gilt: Es scheint mehr als logisch, dass seltene Hobbys die Resilienz von Menschen stärken können, da diese dazu beitragen, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität zu entwickeln. Wenn Jugendliche sich für seltene Hobbys interessieren, müssen sie oft kreativ sein, um Materialien oder Orte zu finden, an denen sie ihr Hobby ausüben können. Sie müssen möglicherweise auch mehr Zeit und Energie aufwenden, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und ihre Ziele zu erreichen. Dies kann zu einem gestärkten Selbstvertrauen und einer positiven Einstellung beitragen, die wiederum dazu führen können, dass sie als Erwachsene widerstandsfähiger gegenüber Stress und Belastungen werden.
Ein Blick auf die Sponsoren-Wände der Verbände von Randsportarten wie Klassik-Kegeln, Orientierungslauf oder Sportakrobatik zeigt schnell: Ein strategisches Engagement zur Erreichung von Jugendlichen mit seltenen Hobbys gibt es bisher nicht. Natürlich ist die Reichweite dabei auch gering. Aber: Kegler:innen wie Orientierungsläufer:innen sind am Ende trotzdem über die gleichen Botschaften zu erreichen („Wir sind anders, wir sind besonders!”). Auf Recruiting-Plakaten habe ich sie aber noch nie gesehen. Ihr?