Facebook-Performance als Wahlprognose? Ein experimenteller Blick auf den NRW-Wahlkampf im Social Web
Gestern hatten in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, 13,2 Millionen Wahlberechtigte die Wahl. Die CDU muss ordentlich einstecken, die FDP kann sich gegenüber der Wahl von 2010 verbessern, die Linken fliegen raus, die Piraten ziehen in den Landtag ein und Rot-Grün bekommt zusammen die Mehrheit der Stimmen (Ergebnisse im Detail).
Die Ergebnisse bei der „kleinen Bundestagswahl“ werden häufig als richtungsweisend für den Bundestrend gesehen. Zudem spielt der Wahlkampf im Social Web eine immer größere Rolle – besonders im Bezug auf die Erst- und Jungwähler, die sich in sozialen Netzwerken im Internet zu Hause fühlen. Aus diesem Grund lohnt sich eine kleine Analyse der Facebookseiten von Parteien und Politikern in NRW.
Doch was sagt die Facebook-Performance eigentlich aus über die politische Stimmung? Dienen entsprechende Kennzahlen – wie etwa Umfragewerte – möglicherweise als Wahlprognose? Der Aufschwung bei der FDP, der Siegeszug der Piraten, das Scheitern der Linken und die schwache Leistung der CDU zeichneten sich jedenfalls schon bei Facebook ab …
Wie sind die Parteien im Social Web aufgestellt?
Klar – die Facebookseiten sollte nicht losgelöst von anderen Präsenzen und besonders nicht kontextfrei betrachtet werden. Schließlich gibt’s ja noch Twitter, Blogs oder herkömmliche Webseiten sowie jede Menge andere Faktoren, die ein Wahlergebnis beeinflussen können. Aber spannend ist ein fokussierter Blick schon!
Die Piraten können mit ihren Tweets beispielsweise das größte Publikum (knapp 22.000 Follower, Stand 13.5.) und damit wesentlich mehr Menschen als auf ihrer Facebookseite erreichen. Dann kommt eine Weile nix – die Grünen haben ca. 4.600 Follower, die SPD 3.800, die FDP 2.500, die Linken 1.500 und die relativ inaktive CDU nur knapp 1.000. Einige Spitzenkandidaten twittern auch selbst oder lassen twittern. Christian Lindner hat hier mit 8.200 Followern die größte Gefolgschaft. Der bisherigen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft folgen 4.700 und dem Spitzenkandidaten der Piraten Joachim Paul (aka Nick Haflinger) 2.900. Norbert Röttgen (CDU), Sylvia Löhrmann (Grüne) und Katharina Schwabedissen (Linke) besitzen kein seperates Twitterprofil. Doch aus der Reichweite der Tweets eine Wahlprognose zu erstellen wäre abenteuerlich – obwohl man schon hier viel hineininterpretieren könnte.
Bei Facebook lassen sich aber auch Parallelen feststellen: So haben die Spitzenkandidatinnen von Grüne und Linke keine eigene Facebookseite – nur die Parteien. Ein personalisierter Wahlkampf wie bei SPD, CDU und FDP fand hier also nicht statt – übrigens genauso wenig wie bei den Piraten. Neben der Wahlkampfseite „Wir haben die Kraft 2012“, positionierte sich die NRW-SPD vor allem mit Hannelore Kraft und ihrer Seite bei Facebook. Auch bei den Liberalen wahlkämpfte Lindner auf seiner eigenen Seite und die Partei parallel dazu auf der FDP-Seite. Die gleiche Aufstellung wählte auch die CDU: Einerseits die Facebookseite von Röttgen, andererseits die Seite der Partei. Jeweils nur eine Parteiseite nutzten – wie bereits erwähnt – Linke, Grüne und Piraten.
Performance der Spitzenkandidaten bei Facebook: Lindner hatte die Nase vorn
Zurück zur Ausgangsfrage: Ist die Qualität der Performance bei Facebook ein Hinweis auf das anstehende Wahlergebnis? Dass die reine Fanzahl einer Facebookseite nicht die wichtigste Kennzahl sein kann, sollte eigentlich keiner großen Erklärung bedürfen. Das Fanwachstum während des Wahlkampfes hingegen gibt da schon etwas mehr Aufschluss über die politische Anziehungskraft. So konnte Lindner die Anzahl der Fans auf seiner Seite zwischen 14. April und 12. Mai (4 Wochen) von 8.508 auf 10.457 erhöhen – ein Wachstum von knapp 23%. Bei Kraft betrug das Wachstum knapp 15% (von 13.504 auf 15.517 Fans) und bei Röttgen 14,5% (von 3.554 auf 4.069 Fans) (Quelle mit Fanzahlen: Allfacebook Stats). Allein die Popularität von Lindner verhalf der FDP in NRW zu ihrem Erfolg. Und den konnte man bei der Entwicklung der Facebookseite zum Teil schon ablesen.
Performance der Parteien bei Facebook: Piraten und FDP mit größten Zuwächsen
Auch bei den Parteiseiten konnte die FDP ordentlich zulegen: Die Fanzahl konnte im gleichen Zeitraum um 16% erhöht werden. Nur die Piraten konnten das mit knapp 63% noch toppen. Die Grünen (10%) verzeichneten moderate, die SPD (15%) ebenfalls satte Gewinne. Der Misserfolg von CDU und vor allem Linke war auch hier abzusehen. Die CDU konnte ihre Fanbase lediglich um 6%, die Linke nur um 2% erhöhen (Quelle mit Fanzahlen: Allfacebook Stats).
Schaut man sich diese Entwicklung noch einmal als Diagramm an, dann waren diese Tendenzen nicht erst am 12. Mai zu erkennen:
Kennzahlen für die Facebook-Performance
Das Fanwachstum ist natürlich nicht die einzige Kennzahl, die etwas über die Performance bei Facebook aussagt. Auch die Interaktionsrate kann Aufschluss über die Qualität der veröffentlichten Beiträge geben, denn diese gibt an, wieviele Likes und Kommentare es prozentual pro Beitrag und Fan gab. Auch hier lag die FDP vorn und die Linke hinten. Doch die Interpretation dieser Kennzahl ist problematisch. Welche Tonalität besaßen die Kommentare? Wieviele veröffentlichte Beiträge gab es im betrachteten Zeitraum? Gibt es außergewöhnliche Peaks (wie etwa bei diesem Beitrag)? Hier muss also schon sehr genau hingeschaut werden, wie die entsprechenden Werte zustande kommen. Dennoch kann man sagen, dass eine höhere Interaktionsrate zumindest ein Indikator für größere Relevanz darstellt.
Und dann gibt es ja noch die Angabe „Personen, die darüber sprechen“. Auch hier sollte man vorsichtig bei der Interpretation sein. Denn dieser Wert wird nicht nur durch die Anzahl der Likes und Kommentare bestimmt, sondern beispielsweise auch durch die Teilnahme an von der Seite angelegten Veranstaltungen. So wurde beispielsweise die Facebook-Veranstaltung „Landtagswahl in NRW“, bei der etwa 17.500 Nutzer zusagten, am 15. April von der Seite von Hannelore Kraft angelegt. Die Zahl zu „Personen, die darüber sprechen“ schnellte dadurch in die Höhe (siehe Allfacebook Stats) – obwohl vielleicht nicht nur SPD-Wähler bei dieser Veranstaltung zusagten. Allerdings war der Wert hier beispielsweise bei Lindner und vor allem bei Kraft dauerhaft höher als bei Röttgen. Auch bei den Parteiseiten lagen SPD, Piraten und FDP vorn.
Fazit: Die Performance im Social Web als Korrektiv zu den Umfragewerten
Selbstverständlich sind die hier angeführten quantitativen Erhebungen nicht mit Umfragen zu vergleichen. Doch auch die Umfragen zur Landtagswahl in NRW konnten das Scheitern von CDU und Linke sowie das Wiedererwachen der FDP nicht in ihrer tatsächlichen Ausprägung vorhersagen. Dennoch sollte bei einem Vergleich klar zwischen Korrelation und Kausalität getrennt werden. Die isolierte Betrachtung von Facebookseiten ist zudem auch nicht aussagekräftig genug. Und selbst hier bei der NRW-Wahl müssten für eine ganzheitliche Betrachtung sämtliche Seiten mit in die Analyse einbezogen werden, die neben den hier angeführten darüberhinaus von existieren, wie beispielsweise die Seite der SPD-Landtagsfraktion, (Anti-)Kampagnenseiten wie „Weniger Kraft“ oder die vielen kleinen Fanseiten der Parteien in den Kommunen, die für den Wahlkampf genutzt wurden.
Dennoch ließen sich hier bei der NRW-Wahl Parallelen zwischen Facebook-Performance, Umfragen und tatsächlichen Wahlergebnissen feststellen. Vielleicht wäre ja ein Social Media-Index eine gute Ergänzung für die klassische Sonntagsfrage. Was meint ihr? Ließe sich ein gewichteter Wert für die Performance im Social Web – unter Einbeziehung von sämtlichen Kanälen – eine halbwegs vertretbare Wahlprognose erstellen? Wenn ja, welche Kennzahlen sind euer Meinung nach die wichtigsten?
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