Ein Seminar fürs Leben – Wie mir die Schreibwerkstatt von Dr. Hajo Schumacher half, mutig zu werden
„In der Kürze liegt die Würze…“ – was für eine Phrase, gestrichen! „Aller Anfang ist schwer!“ Noch schlimmer, weg mit dem Wortmüll. Doch wie in ein Thema einsteigen, den richtigen Ton finden? Wie die Lesenden mit dem Text so fesseln, dass sie (mit Spaß) bis zum Ende dabeibleiben? Wenn man selten etwas selbst verfasst, weil man in der Agentur eigentlich der wandelnde Rotstift, pardon Korrekturmodus, ist, fällt einem das Schreiben im Ernstfall mitunter schwer. Es wird Zeit, das zu ändern – jetzt! Meine grauen Zellen arbeiten, die Google-Suchmaschine ächzt. Da, endlich die Lösung: Das Schreibwerkstatt-Seminar!
Ein neuer Blogbeitrag für unsere Fische-Homepage stand an und ich auf dem Schlauch. Themen fielen mir ein, aber eine Story? Weit gefehlt. In meiner Lektoratsblase kamen eigene Texte eben selten vor. Das Unbehagen wuchs. Ich entschied mich, meine Bubble zu verlassen und in die Höhle des Löwen zu gehen – anderthalb Tage Schreib-Bootcamp mit Hajo Schumacher. Es gab nichts zu verlieren.
Da saßen wir nun – neun Leute, erwartungsfroh, doch mit der Angst im Nacken. Man hatte schon so einiges gehört – von auseinandergenommenen Texten aller Art und ihren ebenso zerfledderten Urheber*innen. Dr. Schumacher kam herein, lässig, mit viel Papier unter dem Arm und einem breiten Grinsen im Gesicht. Erst einmal erzählte uns Hajo ein wenig von sich – anerkennendes Kopfnicken, Lächeln, lockere Stimmung, fing doch gut an.
Dann der Schumacher-Hammer: Er ließ die herkömmliche Vorstellungsrunde platzen und bat uns stattdessen, einen kurzen Text über unsere größte Schreibhürde zu verfassen, idealerweise verflochten mit Details zu unserem derzeitigen Berufsleben. Hilflose Blicke im Raum, wir hatten ganze zehn Minuten. Was folgte, waren die engagierten Versuche, das Unmögliche, Peinliche, Garstige in halbwegs geistreiche Worte zu fassen. Und es funktionierte. Holprig am Anfang, schambehaftet, zögernd. Aber es brachte uns voran, denn wir lernten aus unseren eigenen Fehlern und denen der acht Anderen. Ob Pressemitteilung, Social-Media-Post, Webseiteneintrag, Mailverkehr oder Projektbeschreibung, wir sezierten gnadenlos alles. Hajo operierte, wir hielten Tupfer und Schere und nähten am Ende die Wortfetzen wieder zusammen. Eine verschworene Gemeinschaft, willens, jeden einzelnen unserer zukünftigen Texte zum besten seiner Art zu machen.
Was wir gelernt haben:
- … einem klaren Aufbau zu folgen! Der erste und wichtigste Teil ist die Kernbotschaft. Sie eindeutig zu formulieren, erfordert die meiste Zeit und Energie. Der zweite Teil ist die Rückschau, der dritte der Ausblick. Sie ergeben sich aus Kernbotschaft und könnten auch lauten: Was ist, wo war ich und wo will ich hin?
- … sich über die Erzähler*innen-Rolle klar zu sein! Schreibe ich in meiner beruflichen Funktion, als Freund*in oder als Expert*in? Wer das weiß, wählt automatisch den richtigen Sound.
- … Hilfsverben, Negativismen, Worte, die auf „-ung“ enden und Phrasen einfach wegzulassen, sie sind Ballast!
- … präzise zu recherchieren. Fake News und Halbwahrheiten gibt es genug.
- … Komplexität zu reduzieren! Bedenkt man die kurzen Aufmerksamkeitsspannen von heute, ist logisch, dass einfach erklärte Sachverhalte besser erfasst werden.
- … zu lesen, zu hören, zu sehen, wo immer man ist, Notizen zu machen, (auch einzelne) Gedanken zu formulieren, Material zu sammeln, sich immer und überall inspirieren zu lassen.
Und vielleicht am wichtigsten: … mutig zu sein!
Den Mut haben, auch mal eine andere Darstellungsform als die übliche zu wählen. Es muss nicht immer eine Pressemitteilung sein!
Den Mut haben, harte Schnitte zu machen, um das Wichtige vom Banalen zu trennen.
Den Mut haben, die Vollständigkeit für eine gute und richtig erzählte Geschichte zu kappen.
Alles schon einmal irgendwo gelesen oder gehört? Möglicherweise. Das reicht aber nicht, man muss es sich bewusst machen, bei jeder Zeile. Und irgendwann vielleicht schreibt man so saugut wie Hajo Schumacher.
„Die gute Geschichte“ mit meinen persönlichen Notizen liegt übrigens seitdem immer neben mir auf dem Schreibtisch, falls in mir die „Wie-war-das-doch-gleich-Frage“ hochkommt. Ich überlege mir nun meine Botschaft genau und wer ich bin, wenn ich schreibe. Ich kicke Überflüssiges raus, habe den Mut zur Lücke. Und es macht Spaß! Auch wenn ich gelegentlich noch an meinen eigenen neuen Ansprüchen an einen guten Text scheitere.
P. S. Wunderbarer Nebeneffekt: Die Texte, die ich tagtäglich (hoffentlich) ein bisschen besser mache, sehe ich nun von Anfang an mit anderen Augen.