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PR vs. SEO: Bad news are bad news! Aber gut für Google?

, 01.03.2011,

Wer „Mist baut“, über den wird im Social Web noch hemmungsloser hergezogen als in klassischen Medien. Verbreiten sich dort schlechte Nachrichten einfach nur schneller als gute, münden sie in Blogs und Social Networks nicht selten in Protestwellen, neudeutsch auch „Shitstorm“ genannt. Nicht zuletzt, um solche Berichte im Vorfeld zu verhindern oder – im schlimmsten Fall – auf negative öffentliche Meinungsäußerungen mit der richtigen Kommunikationsstrategie zu reagieren, gibt es PR-Agenturen. :-)

Nur wenige Unternehmen arbeiten ganz bewusst mit dieser Neigung des Menschen. Eine irische Fluglinie fällt mir ein, die immer wieder gezielt Nachrichten verbreitet, die zunächst einmal alles andere klingen als positiv. Stehplätze seien geplant, Aufschläge für dicke Passagiere oder Gebühren wie die Benutzung der Toilette. Nachrichten, die eine Welle der Empörung mit sich bringen. Die aber auch geeignet sind, sich im Hirn des Menschen zu verankern: „Wer solche Ideen hat, der muss der preiswerteste Anbieter sein (Außerdem bin ich nicht dick und kann 2 Stunden Flug ohne Toilettenbesuch überstehen).“ Die Regel ist eine solche PR-Strategie zum Glück nicht. Hoffentlich bleibt das so. Denn es gibt einen weiteren Folgeeffekt schlechter Nachrichten, der in der klassischen Medienforschung noch gar nicht richtig angekommen ist, aber vielen Unternehmern mittlerweile mehr wert scheint als gute Presse: Den Backlink.

Ist ein „Shitstorm“ nämlich erstmal aufgezogen, wird in Blogs oder sozialen Netzwerken wie Twitter oder Facebook die Website des vermeintlichen Bösewichts sehr häufig verlinkt. Und der Wert solcher Backlinks für die Platzierung im Google-Ranking scheint durchaus immens. Das hat erst kürzlich die Bloggergate-Affäre wieder massiv ins Bewusstsein gerückt.

Früher wurden Journalisten schon mal von Pressevertretern in Unternehmen bestochen oder es wurde besonders viel Werbung bei relevanten

Medien geschaltet, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Dabei ging es immer um deren Position als Multiplikatoren und Meinungsmacher. Bei der Bloggergate-Affäre aber wurden Schreiber nicht wegen ihrer Reichweite ausgewählt und bezahlt, sondern weil die von ihnen gesetzten Links helfen, um besser bei Google platziert zu werden.

Denn trotz allen Hypes um Social Media und das entsprechende Reputations-Management: Die Mehrheit der Online-Käufer googelt nach wie vor. Und beim Kampf um die ersten drei Plätze im Google-Ranking scheint deshalb jedes Mittel recht.

Ich habe mich mal ein wenig im Kunden- und Bekanntenkreis umgehört, was die SEO-Experten dazu meinen. Sind schlechte Nachrichten zur Suchmaschinenoptimierung geeignet? Oder können Suchmaschinen schon erkennen, ob ein Backlink im Rahmen einer positiven oder negativen Berichterstattung eingesetzt wird?

Stimmen

Sowohl der selbstständige Suchmaschinenoptimierer Stefan Maischner als auch die bei der Online Druckerei Saxoprint im Online Marketing arbeitende Andrea Kaiser weisen mich sofort darauf darauf hin, dass Google erst kürzlich eine entsprechend angelegte Bad News-Kampagnen enttarnt hat und offiziell seit Dezember 2010 auch seinen Algorithmus angepasst hat, um Kampagnen dieser Art zu entlarven.

Google selbst hat erklärt, dass so etwas nun nicht mehr möglich sei und Links aus negativem Content anders gewertet würden als Links aus positiven Content. Tatsache ist, dass Inhalte um den Link ebenfalls von Google ausgelesen werden“, erläutert Andrea. Stefan schränkt dabei ein, dass Google „bei der unglaublichen Masse an Informationen und Links sowie deren semantischer und logischer Bewertung nicht fehlerfrei“ arbeiten könne. Das bestätigt auch ein von mir befragter Computerlinguist. Er sagt, dass Sentimentanalysen dank der kreativen Vielfalt menschlicher Sprachschöpfungen einfach keine zuverlässigen Ergebnisse liefern können. So seien zum Beispiel auch entsprechende Diagramme in Social Media-Monitoring-Tools nur „bunte Blender für die Geschäftsführung“.

Der spannenden Frage, ob Maschinen jemals in der Lage sein werden, Ironie zu verstehen, wollen wir uns hier und jetzt aber mal nicht weiter widmen…

Was wirkt länger? Backlinks auf Google oder negative Berichterstattung auf menschliche Erinnerung.

In Ansätzen wissenschaftlich prüf- und messbar dürfte dagegen die Frage sein, was denn nachhaltiger wirkt: Backlinks auf Google oder negative Berichterstattung auf menschliche Erinnerung.

Ein Beispiel: Trigema-Chef Wolfgang Grupp bezeichnete im Mai 2010 Twitter-Nutzer als Idioten. Die Blogosphäre war beleidigt und reagierte mit Schmähattacken. Heute spricht allerdings kaum noch jemand darüber. Hat selbst der Homo Bloggus das Ereignis vergessen oder zumindest verdrängt? Und vergisst im Gegenzug Google überhaupt jemals was? Jedenfalls nicht so schnell. Aber das gilt nicht nur für Backlinks sondern auch für die entsprechenden Artikel. „Wenn ich heute nach „trigema“ googel, finde ich immerhin an Position 8 einen Blogartikel mit Schmähung. Ich denke auch, dass sich solche verbalen Entgleisungen für einige onlineaffine Menschen für längere Zeit mit dem Namen „Trigema“ verschmolzen haben“, stellt Stefan fest. Außerdem, so Stefan weiter, würden Links in Blogs technisch bedingt mit der Zeit sowieso an Wert verlieren, da sie von der Startseite in Archiven und Folgeseiten landen.

Fazit

Wie also lautet nun das Fazit der SEO-Experten: Können schlechte Nachrichten positiv sein?

Stefan ist da (SEO-typisch?) sehr pragmatisch:

Schlechte Presse ist besser als gar keine. Und natürlich verkaufen sich Negativmeldungen besser als Sonnenschein-News aus Unternehmen. Der Markenbekanntheit kann damit sicher auf die Beine geholfen werden – und es kommt ja auch immer darauf an, was man daraus macht und wie man darauf reagiert.

Er schränkt aber ein

Man darf die Blogosphäre heute nicht mehr als abgegrenztes Ökosystem sehen. Bei richtigen Skandalen greifen die klassischen Medien und vor allem deren Online-Vertreter gern auf die Blogosphäre zurück.“

Und das schade dem Image dann natürlich deutlicher als die Schmähungen beleidigter Blogger.

Andrea weist darauf hin, dass die Erfolgschancen durch gezielt gestreute Negativ-Kampagnen immer schlechter würden:

„So zählt ja nicht einfach nur der Backlink, sondern auch die Qualität des Links und in welchem Content dieser steht. Wer in der SEO schnell weiterkommen möchte, sollte sein Hauptaugenmerk also nicht nur auf das Produzieren von Backlinks legen, sondern immer auch darauf achten, dass diese in einem zum Unternehmen passenden Inhalt stehen. In Hinblick darauf, dass Google kontinuierlich weiter am Ranking arbeitet und laut Google negativer Content anders bewertet wird als positiver, sollte es nicht Ziel eines Unternehmens sein, so viele negative Backlinks zu erhalten wie möglich. Ist der Ruf einmal ruiniert, wird es schwer, diesen wiederherzustellen.“

Was lernen wir daraus?

Um sich ins Gespräch zu bringen und um Backlinks zu generieren, können auch zweifelhafte Meldungen durchaus Erfolg bringen – wenn man denn die Folgen im Griff hat. Die Meldung muss provokant sein, darf aber eines gewissen Charmes nicht entbehren. Das Risiko einer brutalen Protestwelle muss man bereit sein zu tragen. Ich selbst hatte zum Glück noch nie einen Kunden, der entsprechende Wünsche geäußert hat. Krisen-PR ist zwar die Königsdisziplin unserer Branche und kann nicht nur Links sondern auch „den Kick“ bringen. Trotzdem wird das keiner bewusst provozieren. Da geht es uns sicher wie dem mittlerweile verstorbenen Fußballtrainer Jörg Berger, der als „Feuerwehrmann“ bekannt wurde, da er mehrere Male Mannschaften vor dem sicheren Abstieg bewahrte. Genossen hat er den Abstiegskampf nie.

Und ganz zum Schluss lenkt im Vorbeigehen der Gründer und Kopf der Frischen Fische Jan Eppers ein:

Es gibt so viele smarte und kreative Möglichkeiten, positive Backlinks zu erreichen, dass ich schlicht keinen Grund für gezielte Negativ-Kampagnen sehe. Außer vielleicht Trägheit und die Hybris, einen Shitstorm gestählt überstehen zu wollen.

Gibt es da noch was zu ergänzen?

Foto: by 4rilla 



Über Sebastian

Sebastian ist Creative Director und kommt ursprünglich aus der Musikbranche, wo er sich sehr früh der Arbeit mit social networks gewidmet hat. Bevor er zu den Frischen Fischen stieß, hat der studierte Betriebswirt fünf Jahre für die Mobile Marketing Agentur Goyya Kampagnen konzipiert und betreut. Sebastian ist passionierter Kinder- und Jugendfußballtrainer.


5 Kommentare


  • Hallo Stefan, das sehen wir – wie beschrieben – ganz genauso. Wir werden dergleichen nie starten. Genauso wenig wie wir Backlinks in Blog-Artikeln bezahlen. Damit auseinandersetzen müssen wir uns trotzdem, denn die Einheit Backlink gehört zum täglich Brot der Online-PR.

    Zu Deinem Beispiel: Es geht nicht um direkten Traffic über die Backlinks sondern um deren Wirkung auf das Google-Ranking. Sprich: Wenn die Anzahl der Backlinks hilft, dass die Fluglinie über Suchbegriffe wie „Flüge Europa“ besser bei google gefunden wird, während die Schmähartikel nicht mehr unter den ersten zehn Plätzen sind, dann kann das den Nicht-Social Medianer unter Umständen schon beeinflussen, oder?

  • Eine Abstrafung für „negative“ Links kann nicht automatisiert erfolgen. Hier würde sich Google ins eigene Knie schießen, da hier Seiten zu Unrecht abgestraft würden. Das kann Google höchstens über Quality Rater regeln.

    Man kann es aber auch aus der anderen Richtung sehen. Wieso sollte Google es scheren, wenn diverse Seiten versehentlich abgestraft werden? Etwas dagegen unternehmen können die Abgestraften sowieso nicht, außer sich durch SEO wieder hochzukämpfen. Google mag eh keine SEOs, SEMs/SEAs sind denen viel lieber. ;)

    In meinen Augen ist solch ein Vorgehen gegen die positive Ranking-Wirkung von Shitstorms auch nicht unbedingt nötig. Google will das Sinnbild von Relevanz sein. Und das ist es, auch wenn Seiten mit negativem Image vorne ranken. Es wird im Netz über diese Seite geredet, also IST sie relevant. Punkt. Eine automatische Abstrafung ist nicht sinnvoll. Eher eine Abwertung des ersten Platzes in den Augen des Suchenden. Hier kann als Beispiel Google Suggest dienen. Google Instant wirkt hier Wunder. Wenn der erste Platz xyz ist, in den Suggests aber noch „Betrug“ oder sonstiges zusammen mit dem Namen auftaucht, überlegt man sich gut, ob die Seite für einen selbst relevant ist. Für Google ist sie das allemal. Link ist Link.
    Zumal auf den weiteren Plätzen dann durch Backlinks auch die negativen Blogeinträge auftauchen dürften. Hier fällt mir meine Suche nach „Magento“ ein, bei der recht lange auf Seite 1 recht prominent ein Blogeintrag erschien: „Magento ist schei*e“.

  • Hallo Jan,

    um bei deinem Beispiel der irischen Airline zu bleiben. Sicher sorgen viele Backlinks kurzfristig für mehr Traffic auf der Site.

    Aber was ist das Ziel? Traffic um jeden Preis? Oder doch ein (positiver) Image-Transfer?

    Klar, man kann eine Landing-Page erstellen, die dann sehr intelligent mit Gegenargumenten arbeitet. Doch welches Unternehmen denkt so weit? Und eine auf Gegenargumtente setzende PR-Strategie setzt erst einmal voraus, dass die Gegenargumente überhaupt gelesen werden – 5% CTR wären da schon ein gutes Ergebnis. Dem gegenüber stehen aber 95% der Besucher, die die Airline mit negativ belegten Keywords wie „Abzocker“ etc. in den Trefferseiten sehen (bitte nur nicht den SEO-Faktor anchor-Text vergessen ;-).

    Hinzu kommt der Faktor social media. Da geht es nicht nur um Empfehlungen, sondern auch um das Gegenteil: wenn mir jemand etwas empfiehlt, dann schaue ich evtl auf der empfohlenen Website nach und kaufe dann. Warnt mich aber jemand vor etwas, dann mache ich mir doch nicht die Mühe und prüfe das nach – hier wird die Website eher gemieden.

    Fazit: Finger weg von Shitstrom-Kampagnen, denn die Gegenargumtente erreichen einen Großteil der Zielgruppe nicht. Langfristig bleibt der Negativ-Effekt.

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